Die Legende vom "kleinen schwarzen Volk" und ihre Bestätigung

Abb. 1 Schädel in einer Höhle im Bergland Taiwans

(rmh) In verschiedenen Regionen Taiwans sind Legenden über ein sog. kleines schwarzes Volk überliefert. Die Volksgruppe der Saisiyat feiert sogar heute noch alle zwei Jahre ein festliches Ritual zu Ehren dieses Volkes. Bei diesem Volk soll es sich um kleinwüchsige, dunkelhäutige Menschen gehandelt haben, die eine Größe von einem Meter kaum überschritten, auf "der anderen Seite des Flusses" wohnten und ausgezeichnet singen und tanzen konnten. Zu jedem Erntefest wurden diese Menschen auch von den Saisiyat eingeladen, und dadurch entstand eine tiefe Verbindung zwischen den Stämmen. Doch ein Laster hatte dieses Volk: Das unzüchtiges Verhalten ihrer Männer gegenüber Frauen. Um sich für dieses respektlose Verhalten zu rächen, sägten junge Saisiyat-Männer Bäume an, auf denen die kleinen Männer oberhalb einer Klippe gerne saßen. Dadurch kamen alle Mitglieder dieses Volkes ums Leben, ausgenommen zwei Älteste, von denen die Saisiyat das sog. Pas-ta'ai-Ritual erlernten, bevor diese Ältesten den Stamm in Richtung Osten verließen. Kurz danach setzte eine Hungersnot ein, und die Saisiyat schrieben diese den Geistern der Pygmäen zu. Um sie zu besänftigen, begannen die Saisiyat nun selbst das Pas-ta’ai-Ritual zu feiern und nahmen sich vor, stets fleißig, gerecht, ehrlich und tolerant gegenüber anderen zu sein. Soweit die Legende.

Abb.2 Neben den Knochen wurden in der Höhle auch vorkeramische Objekte, wie Steinfaustkeile gefunden

Nun hat, wie Andreas Müller, der Betreiber des Blogs Grenzwissenschaft-aktuell berichtet, ein Team um Hsiao-chin Hung von der Australian National University, in dem auch Kollegen und Kolleginnen aus Japan, Taiwan und Vietnam vertreten waren, wie sie im Fachjorunal "World Archaeology" (DOI: 10.1080/00438243.2022.2121315) darlegen, in einer Berghöhle in der taiwanischen Region Xiaoma einen ungefähr 6000 Jahre alten Schädel sowie Oberschenkelknochen gefunden, die die Existenz dieses Volkes, das noch vor Ankunft der Vorfahren der heutigen indigenen Bevölkerung dort lebte, Taiwans bestätigen. Zuvor wurde die Existenz dieses Pygmäenvolkes, das auch unter dem Namen "Negritos" bekannt ist in Ermangelung anthropologischer und archäologischer Funde von der Wissenschaft angezweifelt.

Abb. 3 Zeichnerische Darstellung zweier „Negritos“ aus dem sog. Boxer Codex, 16. Jahrhundert (Illu.)

Doch nun konnte das Team um Hung anhand eines Schädels eine DNA-Analyse durchführen, womit gezeigt werden konnte, dass ebendieser Schädel Funden aus der gleichen Zeit aus Afrika gleicht. Darüber hinaus entspricht die ermittelte Körpergröße des Schädels den erwähnten "Negritos", die in Teilen Südamerikas und auf den Philippinen lebten. Der aktuelle Fund scheint auf eine 1,30 Meter große junge Frau zurückzugehen.

Somit ist die Existenz urzeitlicher Menschen auf Taiwan erklärt, jedoch nicht der Grund für das Aussterben dieser Art. Betrachtet man historische Aufzeichnungen stellt man fest, dass dieses "kleine Volk" bereits bei der Ankunft anderer früherer austronesischer Gruppen verschwunden war. In historischen Aufzeichnungen der Qin-Dynastie fanden die Forscher Berichte über kleine, dunkelhäutige Menschen. Außerdem sind – mit einer einzigen Ausnahme – in den Legenden alle 16 austronesischen Gruppen, die heute noch in Taiwan leben, Legenden über derart kleine Menschen auf Taiwan zu finden, wie Müller berichtet.

Quellen

Müller Andreas: Funde in Taiwan bestätigen Legenden vom "kleinen schwarzen Volk"

Hung, Hsiao-chun et. al.: Negritos in Taiwan and the wider prehistory of Southeast Asia: new discovery from the Xiaoma Caves

Bildquellen

Abb. 1: Copyright/Quelle: Hsiao-chin Hung et al., World Archaeology 2022

Abb. 2: Copyright/Quelle: Hsiao-chin Hung et al., World Archaeology 2022

Abb. 3: Copyright/Quelle: Gemeinfrei (nach Müller; s. "Quellen")