Protowissenschaft

Definition

Abb. 1 Thomas S. Kuhn (1922-1996) führte den Begriff 'Protowissenschaft' 1962 ein.

(bb) Mit dem Bergriff Protowisenschaft (auch: Proto-Wissenschaft; von griechisch πρώτος, prótos, "erster") werden gemeinhin solche Forschungsgebiete und Lehren bezeichnet, die sich aus dem Blickwinkel universitärer 'Normalwissenschaft' in einem vorwissenschaftlichen Stadium befinden und/oder sich in der so genannten Scientific community noch nicht allgemein durchgesetzt haben. Eingeführt wurde dieser Begriff 1962 von dem Wissenschaftstheoretiker und Wissenschaftshistoriker Thomas Samuel Kuhn (Abb. 1).

Der Wissenschafts-Philosoph Uwe Rose definiert ihn - im Kuhn´schen Sinne einer 'vorparadigmatischen Wissenschaft' - folgendermaßen: "Der Begriff >Proto-Wissenschaft< kennzeichnet einen bestimmten Entwicklungsstand einer Disziplin, die sich (möglicherweise) auf dem Weg zu einer reifen Normalwissenschaft befindet. Der Protowissenschaft, in der es zu charakteristischen Schulbildungen kommt, geht eine Periode des Sammelns von Daten und Fakten voraus, deren Literatur (etwa Plinius´ 'Naturalis Historia' oder Bacons 'Novum Organon' [1]) noch nicht so recht als wissenschaftlich bezeichnet werden kann. Wenngleich es in der Proto-Wissenschaft auch schon überprüfbare Konklusionen und erste Theorieansätze geben mag, gibt es doch noch keinen allgemein verbindlichen Konsens und damit keinen >clear-cut-progress< [2]. Die Proto-Wissenschaft ist immer noch durch eine Grundlagendiskussion gekennzeichnet, da es kein allgemein akzeptiertes Paradigma (i. w. S.) gibt, welches die Forschung leitet, und eine rätsellösende Aktivität ermöglicht [sic!!!; bb]. Es ist aber gerade diese paradigmengebundene, rätsellösende Aktivität, die die reife Wissenschaft von der Proto-Wissenschaft unterscheidet." [3]

Martin Marheineke ordnet Protowissenschaft dagegen in seiner typologischen Betrachtung verschiedener Ausformungen von Wissenschaft - neben Pseudowissenschaft und Parawissenschaft als dritte Gruppe den „Grenzwissenschaften" zu. Typische protowissenschaftliche Forschungsfelder sind aus seiner Sicht z. B. Exobiologie, Kryptozoologie, R. Sheldrakes 'morphogenetische Felder', Experimente zur überlichtschnellen Informationsübertagung, Versuche zur Schwerkraftkontrolle, sowie Untersuchungen zur Sprachfähigkeit von Tieren. [4]


Anmerkungen und Quellen

  1. Red. Anmerkung: Uwe Rose bezieht sich hier auf: Thomas S. Kuhn, ""The structure of Scientific Revolutions", Chicago 1970, S. 16
  2. Red. Anmerkung: Uwe Rose bezieht sich hier auf Thomas S. Kuhn, "Reflections on my Critics", in: Lakatos, Imre u. Musgrave, Alan (Hg.), "Criticism and the growth of knowledge", Proceedings of the International Colloquium in the Philosophy of Science, London 1970, S. 231-278 (S. 244)
  3. Quelle: Uwe Rose, "Thomas S. Kuhn: Verständnis und Mißverständnis. Zur Geschichte seiner Rezeption" (Dissertation, 2004?), S. 151 (PDF-File, 2,71 MB)
  4. Siehe: Martin Marheineke, "An den Grenzen der Wissenschaft"


Bild-Quelle

(1) Cách mạng khoa học - sự thay đổi khuôn mẫu (Paradigm)